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Von alten Fasern und Cyanotypien



Zufällig stieß ich auf die Ankündigung einer kleinen Ausstellung, die Ende Oktober im Patrizierhaus von Rivera stattfand. Der Titel „Weberkunst und Cyanotypie" weckte meine Neugier, denn Cyanotypie ist eine Technik, die mich immer schon fasziniert hat, ich aber noch nie näher untersucht habe.

 

Während meines Besuchs der Ausstellung und beim Zuhören von Giovanni Filippini, der über die alten Fasern sprach, die er in seiner Weberei verwendet, konzentrierte ich mich schließlich mehr auf das Thema der alten Fasern, die mit Mühe und Ausdauer aus dem gewonnen wurden, was die Natur zur Verfügung stellte.



 

Doch lasst uns der Reihe nach vorgehen:

 

Giovanni Filippini ist Lehrer und seit zehn Jahren pensioniert, er widmete sich schon immer seiner Leidenschaft für die Weberei.

„Die Sprache der Weberei ist universell und hat eine Geschichte, die so alt ist wie die Menschheit.“

Mit 43 Jahren schrieb er sich an der CSIA (Schulungszentrum für industrielle Kunst) ein, um Weberei zu studieren. Giovanni bevorzugt schwer zu findende Materialien: Hanf, Flachs, die in der Schweiz bis zum 19. Jahrhundert angebaut wurden. Meistens findet er diese Fasern bei Antiquitätenhändlern oder bei Bekannten, die verstaubte Faserknäuel auf ihren Dachböden entdecken.

 

Seine Leidenschaft für Reisen hat Giovanni in die ganze Welt geführt, wo er faszinierende Materialien wie die kalabrische Ginsterfaser, die japanische Bananenfaser und sogar die sehr seltene Ananasfaser aus den Philippinen entdeckte. Vor Jahren lernte er auf Sardinien Chiara Vigo kennen, die letzte Meisterin der Verarbeitung von Muschelseide, auch „Seide des Meeres“ genannt (siehe Blog von 2018: https://tafch.blogspot.com/2018/09/pinna-nobilis.html).

 


In der Ausstellung, die ich besuchte, waren Gewebe aus diesen alten Fasern sowie Cyanotypien auf Geweben aus alten Fasern zu sehen. Besonders die Cyanotypien mit den Darstellungen von Händen zogen mich an. Hände kommunizieren, erschaffen, entdecken, spielen, arbeiten, streicheln, berühren, grüßen, beschützen… Mit den Händen kann man unendlich viele Dinge tun.

  

Giovanni erklärte mir, dass er durch die Verwendung alter gesponnener Fäden die Arbeit vieler Frauen und vieler Hände wieder ans Licht gebracht hat, Hände, die mit Geduld, Ausdauer und Geschick die Fäden für die Stoffe des Alltags vorbereitet haben. Die Stoffe strahlen in einem Licht, das aus Weisheit, Langsamkeit, Emotionen und Anstrengung besteht und sind Zeugen eines Wissensschatzes, den wir langsam zu vergessen beginnen.

 


Zurück zu den alten Fasern: Ich hatte einen ziemlich groben Stoff erwartet, ein wenig rau wie die alten Leinenbettwäsche meiner Großmutter, die sich wie Sandpapier anfühlte. Stattdessen war ich sehr überrascht von der Weichheit und Feinheit der Arbeiten von Giovanni.

 

Die Verwendung von Hanf- und Flachsfasern ist bekannt, ebenso wie der Prozess, Fasern aus Brennnesseln zu gewinnen. Sicher haben auch die einen oder anderen Textilien aus Bambus zu Hause, verwenden Jute, Raffia (Stroh) und haben von Sisalfasern gehört. Fasern aus Bananen, Ginster oder Ananas waren mir aber völlig neu.

 


Die Gewinnung von Bananenfasern (Bashofu) ist seit dem 13. Jahrhundert auf der Insel Okinawa in Japan bekannt. Eine ähnliche Faser kommt von den Philippinen (Abacá). Der Prozess zur Gewinnung der Bananenfaser ist sehr langwierig. Zunächst muss die Pflanze kultiviert und gepflegt werden, dann wird der Stamm gereinigt und aus dem Streifen abgeschnitten. Diese Streifen müssen in Wasser und Asche gekocht, abgekühlt und gespült werden. Danach wird das Fasermaterial mit einer Bambuszange gereinigt, um eine Art Raphia zu erhalten, die dann in immer feinere Teile aufgeteilt wird, bis der gewünschten Fadendurchmesser erreicht ist. Diese Fäden werden dann miteinander verknotet. Die Färbung erfordert einen weiteren langen Prozess. Aus jedem Bananenstamm können nur 15 bis 20 Gramm Faden gewonnen werden!


 


Aus Brennnesseln kann eine ausgezeichnete Faser gewonnen werden, die eine großartige Ressource darstellen könnte und wenig Umweltbelastung verursacht. Sie ist angenehm zu tragen. Der Prozess ist ähnlich wie bei Hanf und Flachs. In der Himalaya-Region findet man sehr grobe Fasern. Während der beiden Weltkriege wurden Brennnesselfasern als Ersatz für Baumwolle verwendet, die schwer zu bekommen war. Aus etwa 5 Kilogramm Brennnesselstängeln können nur 15 bis 20 Gramm Faden gewonnen werden… Rechnen Sie mal aus, wie viel Material nötig wäre, um ein Gewebe zu schaffen!

 


Der Ginster ist ein Strauch, der bis zu 5 Meter hoch werden kann. Er wächst spontan und in Hülle und Fülle. Früher wurden die Pflanzen geschnitten und die Stängel nach der Ernte in Wasser gekocht, bis sich die dünne grüne äußere Schicht löste. Danach wurden die gekochten Stängel etwa acht Tage in Wasser eingeweicht, bis die Faser weich war. Anschließend musste die äußere Faser von der inneren getrennt werden. Die innere Faser wurde zum Feuermachen verwendet, während die äußere geschlagen wurde, um die Fasern freizulegen. Danach folgte das Kämmen, um den Faden für die Weberei zu erhalten. Daraus wurden Seile, Säcke und Handtücher hergestellt, aber auch Bettwäsche, Handtücher, Decken und Stoffe für Kleidung. Heute ist die Produktion praktisch nicht mehr vorhanden.


 

Der Höhepunkt des Flachsanbaus in der Schweiz war 1945, mit etwa 230 Hektaren. In den 1950er Jahren verlor der Flachsanbau schnell an Bedeutung. Im Tessin war die Produktion begrenzt und diente hauptsächlich dem Eigenbedarf. Die Samen wurden für die Ölproduktion gesammelt und die Stängel in Bächen für bis zu zwei Wochen eingeweicht, so dass sie verrotteten und die Fasern gewonnen werden konnten.


Hanf wurde früher für die Herstellung von Textilien angebaut, ab Mitte des 19. Jahrhunderts begann der Anbau jedoch zu schwinden und verschwand im ersten Teil des 20. Jahrhunderts endgültig. Heute sind nur 3 Hektaren der insgesamt 152 angesäten der Fasergewinnung gewidmet. Der landwirtschaftliche Hanfanbau ist seit 2021 geregelt. Der Prozess zur Gewinnung der Faser ähnelt dem von Flachs.


Die Ananasfaser ist sehr selten, sie wird auf den Philippinen traditionell genutzt.  Die damit hergestellten Stoffe nennt man Pinja, sie wurden früher von der philippinischen Elite genutzt. Zum Teil werden bis heute auch die traditionell handgewebten Hemden (Barong Tagalog, besticktes langärmliges Hemd, Nationaltracht, für Männer) aus Ananasfasern gefertigt. Textilien aus Ananasfasern waren weltweit beliebt, sie wurden aber wie viele andere durch die weit billigere Baumwolle verdrängt.

Die Pflanzenblätter werden vom Stamm getrennt und die Fasern manuell durch Abkratzen gelöst. Anschließend werden die Fasern gewaschen und getrocknet. Um ein Verwickeln der Fasern zu verhindern, werden diese mit Wachs behandelt. Der Prozess ähnelt jenem der ebenfalls auf den Philippinen ansässigen Tradition des Abacà (Bananenfasern). Es gibt zwei verschiedene Fasertypen, Bastos sind eher stark und grob und werden zu Teppichen und Haushaltsgegenständen verarbeitet. Liniwan sind feine Fasern und werden zum Weben verwendet.

 

Die Cyanotypie ist ein alter fotografischer Prozess, der Bilder in Preußischblau erzeugt. Sie wurde 1842 von Sir John Herschel erfunden. Ursprünglich wurde diese Technik zur Reproduktion von Diagrammen und Pflanzen (Blueprints) verwendet, fand aber auch unter Fotografen und Künstlern wegen ihrer einzigartigen ästhetischen Wirkung bald eine populäre Anwendung. Der Prozess besteht darin, eine lichtempfindliche Lösung auf eine Oberfläche wie Papier oder Stoff aufzutragen. Wenn die Oberfläche dann ultraviolettem Licht ausgesetzt wird, dunkeln die exponierten Stellen und nehmen eine blaue Farbe an. Nach der Belichtung wird das Bild entwickelt, indem die Oberfläche in Wasser getaucht wird. Die Teile, die dem ultravioletten Licht ausgesetzt waren, lösen sich nicht mehr in Wasser auf und gehen vom ursprünglichen Gelbton ins Blau/Türkis über. Das gehärtete Pigment bleibt im Papier oder Stoff zurück und wird durch das Trocknen und die Oxidation an der Luft noch dunkler, was dem Druck das charakteristische Preußischblau verleiht.

 


Giovanni Filippini verwendet auch den Negativdruck auf Stoff. Der Stoff aus Leinen, Hanf oder Seide wird mit handgeschnitzten Holzmodulen (häufig aus Birnbaum Holz) bedruckt und mit einer Reservierungsmasse bedeckt, die den Stoff vor dem Indigo-Bad schützt. Das Muster wird mehrmals wiederholt. Anschließend wird der im Positivdruck bedruckte Stoff lange genug getrocknet, damit die Reservierungsmasse dauerhaft an den Fasern haftet.

  

Indigo, das aus unlöslichen Molekülen besteht, benötigt im Gegensatz zu anderen Farbstoffen einen chemischen Prozess, um sich an die Fasern des Stoffes zu binden. Der Stoff kann mehrfach eingetaucht werden, um die gewünschte Intensität des Blautons zu erzielen. Nachdem dieser Prozess abgeschlossen ist, wird der Stoff gut getrocknet und dann in eine saure Lösung getaucht, um die Reservierungsmasse zu entfernen, wodurch das ursprüngliche Farbmaterial des Stoffes freigelegt wird und der Negativdruck entsteht.

 

Die Ausstellung ist leider beendet, aber Giovanni Filippini kann in seinem Atelier besucht werden.

 


Giovanni Filippini 

Via delle Scuole 40 

6802 Rivera 

 

Text und Bilder: Bea Bernasconi

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