Fabio Melones Atelier in Zürich ist zwar nur klein, aber voller künstlerischer Energie. An der Wand beeindrucken grossformatige Gemälde, auf dem Tisch liegen Collagen, auf einem Kleiderständer hängen Jacken und Decken mit malerischen Jacquardmustern – und überall stösst man auf fädige Skulpturen, Objekte und Experimente.
Das Stoffregal mit dem Vorhang des Grossvaters erinnert Fabio Melone an seine Kindheit und weckt viele persönliche Erinnerungen mit Textilien.
Fabio Melones Interesse am Textilen stammt schon aus der Kindheit. Beide Grosseltern mütterlicherseits waren Schneider. Sie kamen in den 1950er Jahren aus Süditalien in die Schweiz und arbeiteten als Gastarbeiter in Textilfirmen. Wenn der kleine Fabio seinen Grossvater besuchte, faszinierte ihn nicht nur dessen Stoffsammlung, die staub- und lichtgeschützt hinter einem Vorhang in einem riesigen Regal lagerte, sondern auch die grosse Anzahl der verschiedenen Scheren und Fäden. Kein Wunder, dass es ihn später in die Stoffentwicklung zog. Am Anfang arbeitete er noch im kaufmännischen Sektor des modischen Textilbereichs und besorgte den Einkauf, doch schon bald wechselte er zum Design und entwarf am Ende ganze Kollektionen. Eine Ausbildung an der Schule für Kunst und Design schloss er 2012/13 mit einem Diplom im Bereich Kunst ab. 2016/19 folgte eine Ausbildung für Kunstvermittlung an der ZHDK.
Schon immer hatte Fabio Melone von der Kunst geträumt. Dass seine Abschlussarbeit an der ZHDK für einen Preis nominiert wurde, motivierte ihn, ganz auf die Kunst zu setzen. Er gab sich ein Jahr, um sich zu organisieren und Geld zu verdienen. Dann konzentrierte er sich zunächst auf die Malerei und schloss 2022 eine Ausbildung zum Master Fine Arts ab.Das Textile war in der Arbeit immer präsent. Da sind einerseits die Collagen, die der Künstler aus alten Vogue-Heften gestaltet. Er sucht interessante Kleider, Stoffe, Körperhaltungen, Details, klebt und malt Schicht auf Schicht, spielt mit Verbergen und Aufdecken, Konstruktion und Dekonstruktion und erzählt die Geschichte des Bildes völlig neu. Es interessiert ihn, Dinge zusammenzuführen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben.
Bei den Gemälden steht mehr die Gestik im Vordergrund, die Suche nach der Linie, dem richtigen Pinselstrich. Oft sind menschliche Gestalten oder Gesichter erkennbar. Ob konkret oder abstrakt, in jedem Bild ist der Körper durch die Bewegung des Malers präsent. Wie in der Collage finden sich auch hier die Gegensätze des Sichtbaren und Unsichtbaren, des Verbergens und Blosslegens. Die Nähe zum Textilen zeigt sich in Fabio Melones Interesse an Strukturen und seinem Umgang mit dem Thema Haut, der Schicht zwischen innen und aussen, schützend und verletzlich zugleich. Die Werkserie, an der er zurzeit arbeitet, heisst «tra cielo e pelle» und verweist auf die Haut, aber auch auf die Nähe von Himmel und Spiritualität während des intuitiven Schaffensprozesses.
Für eine Serie, die sich mit dem Thema «Bekleidung als zweite Haut» beschäftigt, entwickelte Fabio Melone zusammen mit einer Weberei in Deutschland und einem Zürcher Schneider Decken, Jacken, Hosen und Taschen. Diese wurden aus Jacquardstoffen gefertigt, die seine Gemälde widerspiegeln. Die hochwertigen Einzelstücke wurden in einer Performance vorgestellt. Dabei zeigten sich durch die Bewegung und Gestik der Models die vorher gemalten, nun eingewobenen Gesichter und Körper, die sich gleich darauf wieder verbargen – ein Spiel mit Überraschungen. Diese Idee entstand, nachdem der Künstler mit einem ersten Prototyp Kunst und Design miteinander verbunden hatte. Die Arbeit auf der Schnittstelle zwischen Handwerk und Design interessiert ihn, es gefällt ihm, sich während eines Entstehungsprozesses mit anderen auszutauschen. Trotzdem braucht er auch immer wieder Raum für sich allein.
Decken und Jacken wie auch die textilen Skulpturen, die in Fabio Melones Atelier entstehen, weisen oft auffällige Fransen auf. Es sind haptische, weiche, wärmende Elemente, die das Auge sofort gefangen nehmen.Während der Coronazeit erhielt der Künstler eine grosse Kiste mit Wollknäueln geschenkt. Er begann die Fäden abzuwickeln, zu verknüpfen, neu zu verbinden und zu drapieren. Das sensible, nicht stereotype und formbare Material sieht er als Verlängerung des Körpers – vielleicht verwendet er deshalb gern zarte, verletzliche Farben. Inzwischen entstehen kleine Tonskulpturen, die «bleeding bodies», aus denen er rote und rosa Fäden hinausfliessen lässt. Ob Malerei oder textile Arbeit: Beim Machen spürt er das Verletzliche in sich, aber auch Kraft und Stärke – da ist er ganz bei sich.
Text: Christine Läubli
Bilder: Fabio Melone
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