Isabelle Krieg – unendlich endlich
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Isabelle Kriegs Kunst sprengt Denkmuster und Räume. Nun, da ihr Werk mehr als 30 Jahre umfasst, widmet das Kunstmuseum Thurgau der Künstlerin eine Einzelausstellung (bis 26. April 2026). Neben zwei Räume und Zeiten überspannenden, ortsspezifischen Installationen zeigt eine Reihe weiterer Arbeiten, wie die Künstlerin alltägliche Materialien verfremdet und unsere Sicht auf die Welt auf überraschende, kluge und verblüffende Weise erweitert.

Im uralten Weinkeller der Kartause, liegen unendlich viele weisse Wollflocken auf dem Boden. Man gelangt hier unten in eine einzigartige Welt, zieht die Schuhe aus – und da ist nur noch diese zutiefst sinnliche Erfahrung: In Socken über ein Feld von Wollflocken gehen. In sakraler Stille und tiefer Konzentration deren Wärme und Weichheit spüren. Und über der Wolllandschaft eine Perlenschnur aus Strausseneiern, die das Zeichen der Unendlichkeit auf den Himmel malt. Allerdings ist nur der Mittelteil, die Kreuzung der liegenden Acht auszumachen – die äusseren Schlingen liegen ausserhalb des Weinkellers und verlaufen im Aussenbereich, im Freien.

Auch in der Hauptausstellung im Gewölbekeller darüber begegnen uns Eier in unterschiedlichstem Kontext. Zum Beispiel stehen aufeinandergestapelte Straussen- und Hühnereier unter einem überaus zarten Mobile, das sofort die Aufmerksamkeit auf sich anzieht. Es ist behängt mit puppenstubenwinzigen Objekten, die einen geheimnisvollen Schatten an die Wand werfen. Erst der Blick ins Ausstellungsblatt erklärt, dass wir es mit den Knöchelchen einer Ratte zu tun haben. Es sind alle Knochen eines Tieres, schwarz lackiert und in fragilem Gleichgewicht ausbalanciert – Isabelle Krieg nennt die Installation «eine bewegliche Partitur für einen lautlosen Totentanz». Die Eier ergänzen das Bild von Tod und Wiedergeburt.

Isabelle Krieg nummeriert jeden Tag ihres gelebten Lebens auf einen Papierstreifen. Die Streifen klebt sie kegelförmig übereinander. Je länger sie lebt, desto höher wird der Kegel. Jedes Jahr fotografiert sich die Künstlerin mit dem Zahlenturm – dieser wird immer höher, sie selber schrumpft. Ein witziges und auch nachdenklich stimmendes Bild für unsere Lebenszeit, und eines von verschiedenen Langzeitprojekten, welche die Künstlerin in ihrem Schaffen begleiten.
Ein anderes ist die Sammlung von Notizzetteln, die Isabelle Krieg seit einigen Jahren zusammenkleistert. Es sind Zettel, wie sie in jedem Haushalt anfallen: Einkaufszettel, To-Do-Listen... Ob erledigt oder nicht, irgendwann sind sie überholt, und Isabelle Krieg klebt sie zur Schale zusammen, die langfristig zur Kugel wachsen soll. Die Künstlerin hat errechnet, dass die Kugel zu ihrem 100. Geburtstag vollendet sein wird.

Vom ersten Moment unseres Lebens bis zum letzten sind wir von Textilien umgeben. Immer wieder müssen wir sie unserer ändernden Körperform anpassen, die Kleider wachsen mit uns mit. Isabelle Krieg hat gebrauchte Jacken übereinandergestapelt – Lebensjacken, Life Jackets. Vom Babyjäckchen bis zur Oma-Strickjacke bilden sie ein Gebilde wie ein Organ oder ein schützendes Zelt
Ein anderes Zelt ist eines der Hoffnung. Es besteht aus feiner Chiffonseide, auf die hauchdünn gespaltene, historische Glimmerplättchen genäht sind. Je nach Lichteinfall schimmern sie von schwarz bis silberhell. Im Innern herrscht eine Atmosphäre wie in einem mit Glasfenstern bestückten sakralen Raum. Isabelle Krieg schreibt: «Das Hope Tent verkörpert Schutz, Schönheit, Kraft und Weichheit.»

Ein Tisch voller Porzellan, Tassen, Unterteller und kleine Löffel. Von weitem scheinen sie auf den Abwasch zu warten. Nähertretend sieht man die Kaffee- oder Kakaoresten. Und plötzlich macht man im Kaffeesatz Gesichter aus, Menschen, wie wir sie jeden Morgen auf Zeitungsbildern antreffen. Die einen – Politiker vielleicht – kennen wir, viele sind namenlos. Auslöser für diese Arbeit war der zweite Irakkrieg 2003. Isabelle Krieg merkte, dass sie die Nachrichten konsumierte wie ihren Morgenkaffee. Das machte sie wütend, und sie begann, aktuelle Zeitungsbilder in Tassen zu malen. Das schmutzige Geschirr türmt sich immer mehr auf – wieder eine wachsende Never-Ending-Story. Und auch diese Arbeit beinhaltet neben der Poesie eine nachdenklich stimmende Abgründigkeit.

Eine zweite grosse Installation ist wiederum aus Schafwolle und ortspezifisch für die Ausstellung in Ittingen gemacht. Ein riesiger Kreis schlingt sich durch einen Gewölbedurchgang, trennt und verbindet. Ein Kreis als Symbol für gleichzeitige Unendlichkeit und Vollkommenheit, die Wolle als liebevoll wärmendes Material.
Die Ausstellung von Isabelle Krieg im Kunstmuseum Thurgau klingt lange nach – die Bilder bleiben haften durch ihre witzige Prägnanz voller Nachdenklichkeit, die Materialien durch ihre ästhetische Ausstrahlung und die Gesamtinstallation durch ihre tiefe Aussagekraft.
Text: Christine Läubli
Quellen: Medienmitteilung Museum, Ausstellungsblatt mit Kommentaren der Künstlerin
Information
Kunstmuseum Thurgau
Bis 26. April 2026
Kunst- und Ittinger Museum
8532 Warth TG
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag, 14 – 17 Uhr
Samstag und Sonntage, 11 – 17 Uhr




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