Was bleibt II – Performance, 07.09.25, LUXESE, Kloster Muri
- ml
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„Ich trete vor den Klostergarten, trage weiße Kleidung, ein Gazetuch über die Schultern und einen ungebrannten Backstein in den Händen. Das Gazetuch breite ich auf dem Boden aus. Ich stelle mich mit dem Backstein auf den Kessel, hebe ihn langsam über den Kopf und halte ihn, bis meine Arme zu zittern beginnen. Dann lasse ich den Backstein auf das Gazetuch fallen.
Mit den Füssen stampfe ich auf die zerbrochenen Backsteinstücke, zermalme sie, hebe das Gazetuch mit den zerkleinerten Teilen auf und schlage es kraftvoll auf den Boden. Der Backstein zerfällt zu Staub. Im Rhythmus atme ich in den Wassereimer aus, tauche meinen Kopf unter Wasser und verweile dort, bis ich wieder nach Luft schnappen muss.
Jetzt senke ich den Gazebeutel mit dem Tonstaub ins Wasser, lasse das braungefärbte Wasser vom Stoff tropfen und schütte den Schlick zurück in den Eimer. Ich wasche das Gazetuch im Tonwasser, ziehe es über mich und verhülle mich damit. Es entstehen figürliche, skulpturale Bilder. Ich reiße die Gaze auf, stülpe den Kopf hindurch und ziehe das durchschlickerte Tuch als Umhang über mich.
Schließlich steige ich vom Kessel, kippe das Tonwasser aus und lasse den Gazeumhang auf halbem Weg zum Klostereingang fallen.“
Das Wasser, mit dem sich der Staub des zerbrochenen Backsteins mischt, wird nicht nur zu Erdwasser – es ist das Ergebnis erschöpfter Ressourcen. Der zerschlagene Backstein erinnert zugleich an Orte der Zerstörung, kriegsbedingte Krisen und Vertreibungen – und daran, dass Wiederaufbau oft erst aus dem Bruch entsteht. In der Performance wird sichtbar, wie unsere Eingriffe Spuren hinterlassen, die kaum heilen, bevor neue Belastung erfolgt.
Der Akt, Stoff mit Tonerde zu waschen, wird zum Zeichen von Wandel und Vergänglichkeit. Das Material durchdringt den Körper, und zugleich hinterlässt der Körper Spuren darin. Reduktion, Loslassen und Präsenz treffen aufeinander: Luxus und Askese begegnen sich im Moment – in Berührung, im Prozess und im Tun selbst.
Die skulpturalen Bilder, die durch das Verhüllen und Entblättern der Gaze entstehen, erzeugen Assoziationen an Frauen- und Menschenfiguren weltweit und führen die Zuschauer:innen auf eine Reise durch unterschiedliche Kontexte von Identität, Kultur, Religion und politischer Prägung.
Die Performance macht spürbar, was bleibt: sichtbare und unsichtbare Spuren – in der Erde, in der Welt, in der Erinnerung. Sie verweist auf das unaufhaltsame Werden und Vergehen und fragt, welche Spuren wir bewusst gestalten und welche uns einfach widerfahren.

mo/men/tan – Bedeutung für Performance Art
physisch, geistig und emotional mit dem ganzen Körper | multiplizierte Intensität | Symbolik ohne Zugehörigkeit | Risiko des Misslingens als Chance
„Der Moment der Performance versetzt mich in einen intensiven Zustand, der mein Körperbewusstsein schärft und mir ermöglicht, unmittelbar auf den Augenblick und den Ort zu reagieren. Mein Schaffen ist moment- und prozessorientiert. Das Eigenleben des Materials, der Raum, mein Zustand und die Konzentration der Zuschauer:innen beeinflussen die Handlung entscheidend. Es ist eine Forschung – mit mir, dem Material, dem Raum und dem Publikum im ‚Hier und Jetzt‘.
Ich verstehe mich als eine sich fortwährend transformierende Plastik im Raum. Durch meine Präsenz forme ich den Raum, während er zugleich in mich eingreift – bis mein Körper selbst zum Raum wird. Dabei lösen sich die physischen, emotionalen und geistigen Grenzen zwischen Innen und Aussen auf oder beginnen zu zerfliessen.
Ich erforsche Brüche und Kippmomente, lasse mich vom Material führen und hinterfrage damit die Ordnung, die unser Verständnis von Wirklichkeit prägt.“
Text: Claudia Bucher
Fotos: Rob Nienburg, wenn nicht anders angegeben
Infos:
Luxese - Textilkunst zwischen Luxus und Askese
bis 2. November 2025
Marktstrasse 4
5630 Muri
Öffnungszeiten: Di – So 11 bis 16 Uhr, ab 1. April bis 17 Uhr
Finissage: Sonntag, 2. November 13.30 Uhr, Führung mit den Kuratorinnen, als Gäste Claudia Bucher und Ursula Anna Engler






















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