In der Galerie Textilaltro in Rapperswil ist zurzeit eine phantastische Ausstellung zu sehen. Das Kollektiv «Fadenatelier» aus dem Vorarlberg zeigt Arbeiten zum Thema «Strickschrift». Schon seit einigen Jahren beschäftigen sich die sieben Frauen der Gruppe mit der Entwicklung und Umsetzung innovativer Strickprojekte. Dabei geht es nicht einfach um die Anwendung klassischer, vorgegebener Muster, sondern um Forschen, Entdecken und freie Experimentierfreude.
Im Treppenaufgang erwartet das Publikum ein fulminanter Einstieg ins Thema. Das riesige, teppichdicke Jacquardwerk beruht auf einem in Fragmente zerschnittenen Gemeinschaftsentwurf, dessen Einzelteile vergrössert und von den Künstlerinnen individuell gestrickt wurden. Angedeutete Textausschnitte, typografische Textkörper und einzelne Buchstaben laden ein, sich selber einen «Text» zu machen.
Das lateinische Wort «texere» bedeutet «weben, flechten». Text, Textur, Textil hängen eng zusammen. Schreiben ist Rhythmus und Struktur. Auch Stricken ist Rhythmus – einerseits im regelmässigen Klappern der Nadeln, andererseits im Anordnen der Maschen. Beim Schreiben fügen wir Linie an Linie, beim Stricken Reihe an Reihe. Strickmaschen sind haptische Bausteine für mehr oder weniger reliefartige Strukturen. Eigentlich beruht das Stricken auf einem sehr einfachen System analog der Computersprache. Es gibt nur zwei Möglichkeiten – entweder bildet man eine rechte oder eine linke Masche: Bei der ersteren wird der Faden hinter, bei der letzteren vor die Arbeit gelegt. Jacquardmuster ändert die Textur auch je nach den Abständen, in denen der mitgeführte hintere Faden mit dem aktiven vorderen verschlungen wird.
Alle Strickerinnen haben einen gestalterischen Hintergrund. So studierte und unterrichtete die Initiantin der Gruppe Eveline Bischof an der Akademie der Künste in Wien. Der künstlerische Anspruch ist denn auch offensichtlich. Mit immer wieder anderen Aufgabestellungen setzen sich die Frauen neue Ziele, denen sie sich in langen Prozessen annähern.
Am Anfang steht jeweils eine umfassende Auseinandersetzung mit dem gewählten Thema. Man recherchiert, sammelt, zeichnet, schreibt, mustert, sucht Farben und Materialien und sucht so eine mögliche Form. Immer wieder trifft man sich in der Gruppe und diskutiert: Welches Element passt zur aktuellen Arbeit, was lässt man besser weg, was muss sich verbessern? Aufliegende Mappen verdeutlichen, wie fundiert das Fadenatelier arbeitet.
Buchstaben setzen sich zu Bildern oder Wörtern zusammen, handgeschriebene Wortreihen machen persönliche Schreibspuren sichtbar, verschiedene Schriftzeichensysteme kombinieren sich zu geheimnisvollen Bildern, Wortspiele bringen zum Schmunzeln, aufgeplusterte Texturen und ausgeschnittene Buchstaben heben Flaches ins Dreidimensionale – all dies haben die Frauen des Fadenateliers mit Handstricknadeln und Wolle in gestrickte Bildwelten transferiert.
Jede Arbeit auf dem Rundgang der Ausstellung überrascht und macht das ausserordentliche künstlerische und technische Können der Strickerinnen sichtbar. Material, Technik, Farbgebung, Bildkomposition, Präsentation – alles ist perfekt umgesetzt. Die Werke berühren, bringen zum Nachdenken, Staunen oder auch zum Schmunzeln.
Die Galerie Textilaltro liegt in der Bibliothek der Fachhochschule Ostschweiz – ein perfektes Ambiente für gestrickte Schriften. Inmitten von Büchern und Wörtern, Buchstaben und Texten ist die Maschenpoesie der Vorarlbergerinnen an einem stimmigen Ort. Unbedingt hingehen!
Text und Bilder: Christine Läubli
Informationen:
Strickschrift
28. Oktober bis 13. Dezember 2024
Künstlerinnen: Eveline Bischof, Sabrina Vonbrühl-Bollhalder, Cornelia Duelli, Gertrud Faißt, Frieda Faller, Roswitha Noventa, Karin Riedmann
Galerie Textilaltro
Ostschweizer Fachhochschule, Gebäude 5, 1. Stock (in der Bibliothek)
Oberseestrasse 10
8640 Rapperswil
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag von 8.30 bis 17.30 Uhr
Samstag, 16. November und 23. November von 10 bis 16 Uhr geöffnet
Finissage: Samstag, 14. Dezember von 10 bis 11 Uhr
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