Bereits zum fünften Mal zeigt «Papier Global» vom 3. Oktober 2021 bis 6. März 2022 in den schönen Räumen des Stadtmuseums Deggendorf (Deutschland) sowie im gegenüberliegenden Handwerkermuseum Kunstwerke aus Papier. Als Triennale konzipiert behauptet die hochkarätige Ausstellungsreihe seit Anbeginn einen international beachteten Platz in der Papierkunst.
Leider musste die Vernissage der «Papier Global 5» wegen Corona vom Mai auf Oktober verschoben werden. Das Virus erschwerte dann auch die Begleitveranstaltungen und machte gar einen zeitweiligen Lockdown notwendig.
Diesmal wurden aus mehr als 350 Bewerbungen die Arbeiten von 69 Kunstschaffenden aus zwanzig Ländern ausgewählt. Sie überzeugen mit ästhetischen, phantasievollen, überraschenden, witzigen, handwerklichen und berührenden Aspekten. Neben den unterschiedlichsten Techniken von Falten, Flechten, Verdrehen, Schneiden, Besticken bis zu Mixed-Media wählten die Kunstschaffenden auch das Material vielfältig aus: Ausser profane Industrie- oder Recyclingpapiere verarbeiteten sie auch Zellstoff, Pulpe oder selber geschöpfte Blätter. «Papier Global» bietet auch dieses Mal wieder einen umfassenden und beeindruckenden Überblick über das zeitgenössische Schaffen in der Papierkunst.
Zur Ausstellung erscheint ein reich bebilderter Katalog in Deutsch und Englisch. Er kostet 19.50 Euro plus Versandkosten und ist zu beziehen in den Deggendorfer Museen oder per Mail: museen@deggendorf.de)

Ewa Latkowska-Zychska (PL) schuf mit handgeschöpften Papieren aus japanischen Kozo-Fasern und Pflanzen ihrer Heimat eine Collage von Ost und West. Die tiefen, satten Farben berühren, die Ästhetik erinnert an reduzierte japanische Gestaltungsphilosophien. Die Künstlerin möchte mit dieser Arbeit das Leben in seiner Unendlichkeit darstellen.

Viviane Colautti Ivanova (FR) schöpfte aus Maiglöckchen Papiere, färbte diese verschiedenfarbig ein und verknäuelte und verwebte diese zum zarten Gewirr. Wenn das Werk mit etwas Abstand von der Wand frei hängt, fügt auch der Schatten seinen Beitrag hinzu. Das Spiel von Davor und Dahinter verweist auf die Verbindung von Natur und Kosmos.

Šarlote Baškevica (LT) behandelte für ein kleines Jäckchen Recyclingpapier mit Bienenwachs, so dass das Kleidungsstück wie aus einer vergangenen Welt wirkt. Die Stickerei verweist auf Techniken, mit denen früher Textilien verstärkt und geflickt wurden. Damit erinnert die Künstlerin an die Wertschätzung, welche unsere Vorfahren im Gegensatz zur heutigen Wegwerfgesellschaft den Materialien (zwangsläufig) verliehen.

Sabine Naumann-Cleve (DE) überzeugt mit einer Zellstruktur aus alten schwarz-weissen Familienfotos und Postkarten. Sie zerriss das Erinnerungsmaterial in Streifen und klebte diese zu Fünfecken zusammen. Ring an Ring erwächst daraus ein naturnaher Organismus, der im Raum hängend eine wunderbare Leichtigkeit bekommt – ein Gewächs der Erinnerung.

Uli Schmid (DE) ist wohl einer, der nicht besonders gerne staubsaugt. Der überlebensgrosse «gebeutelter Mann», ganz aus Staubsaugerbeuteln gemacht, sitzt jedenfalls erschöpft auf seinem Podest ... Musste er sich in der Corona- und Homeoffice-Zeit zu oft mit Hausarbeit beschäftigen?

Witzig und makaber ist die gute Stube der Hexe aus dem Märchen Hänsel und Gretel, welche Theresia Hildebrand (DE) in minuziöser Detailarbeit aus Enso-Pappe, Karton und Seidenpapier gestaltet hat. Die Hexe macht es sich auf ihrem Sessel gemütlich, auf dem Tisch liegt eine Salami, nebenan das Metzgerbeil … Auf dem Regal sind die beiden Kinderköpfe in Marmeladegläsern eingemacht. Hinter dem Sessel liegt eine Tüte mit der Aufschrift «die 7 Geisslein». Sind die grässlichen Finger der Hexe noch für weitere Märchen-Untaten verantwortlich?

HyacintaHoverstadt (DE) zeigt ein wunderschönes organisches Gewächs, das sie aus Wellpappe verschiedener Herkunft zusammengeklebt hat. Die unterschiedlichen Wellenverläufe, Farben und Qualitäten führen zu feinen Nuancen und Schattierungen und einer grossen Lebendigkeit und Naturnähe der Skulptur, die sich in drei Richtungen öffnet.

Das Werk «Night sceneofwinter in Korea» von Young Soon Cha (KR) besitzt eine zurückhaltende, aber intensive Ausstrahlung. Die Künstlerin stellt sich vor, eine Familie schaue aus dem Fenster in die Winternacht. Fenster und Türen bestehen in Korea traditionell aus Holzrahmen und Hanji-Papier, die Rahmen fügen sich zu kunstvollen geometrischen Mustern. Young Soon Cha’s «Scene» besteht aus indigoblauen, handgesponnenen Hangi-Schnüren, die parallel nebeneinander angeordnet sind. Spielend mit Abständen und Aussparungen erzielt Young Soon Cha eine meditative Komposition.

In einer Tonne ist eine geheimnisvolle Installation aus Büttenpapier von Katja Liebig (DE) eingeschlossen. Wer sich über das Guckloch beugt, sieht die leise Bewegung einer aus Papier gestalteten Seeanemone. Wer wird sie vermissen, wenn der Mensch das Ökosystem der Meere zerstört haben wird?

Pat Hodson (GB) präsentiert eine 3D-Architektur aus fein ziselierten Formen. Jedes Blatt ist stellenweise mit zarten Blaustrukturen und Farbverläufen bedruckt und lässt in der Schnittform an Schmetterlingsflügel denken, ebenso die gesamte kleine Installation. Was würde man wohl erleben, wenn man winzig geschrumpft im Inneren der Skulptur zwischen Verdichtung und Durchlässigkeit spazieren ginge?

Karin Heinrich (DE) hat das Lösungsblatt einer alten Physikprüfungsarbeit mit dem Skalpell behandelt und die regelmässigen Quadrätchen in minuziöser Arbeit ausgeschnitten. Die Ausschnitte liegen gesammelt unter dem verbleibenden Gitter, als wären sie soeben heruntergefallen. Spuren des vermasselten Tests, die bis heute nicht vergessen sind, oder Bildnis eines allzu strengen Schulsystems?

Eva Mandok (DE) bezieht sich auf die Corona-Situation. Sie sammelte Ausschnitte der wichtigsten deutschen Boulevard-Zeitung mit entsprechenden Schlagzeilen und formte daraus einen Kerl mit Maske, der uns etwas verunsichert und verloren von seinem Sockel aus anblickt.

Tatiana Rozenblat’s (FR) kleine Arbeit scheint aus Stein gemeisselt zu sein, ist jedoch mit einer Pulpe aus Baumwolle und Leinen gestaltet. Die Künstlerin transformiert weiche Materialien in eine harte Form und zaubert aus flachen Stoffen eine dreidimensionale Skulptur, die von jeder Seite her eine andere Ansicht bietet.

Wie ein Tatzelwurm kriecht die Skulptur von Maritza Granados.Manjarres (CO) über den Sockel – eine eindrucksvolle und ästhetische Faltarbeit. In den zahlreichen Faltungen und Wendungen verbirgt sich aber eine dramatische Geschichte: Die Künstlerin hat ihre Heimat Argentinien ohne ihren Sohn verlassen müssen und das Kind trotz zahlreichen Anstrengungen nicht nachholen können. So verweist das Werk auf die Sehnsucht nach der Wiedererlangung eines familiären Nestes.

Bruno Sutter (CH) konserviert das Alltagsmaterial Papier auf künstlerische Art und schichtet es zu neuen Bedeutungen. Hier hat er Papierlagen zwischen zwei Metalle gepresst und verschweisst und dann mit der Säbelsäge bearbeitet: Versteinerte Berglandschaften, Gipsverbände, Skispuren …?

Zur Jahreswende ziehen in der kleinen Schweizer Gemeinde Urnäsch (Appenzell) Silvesterchläuse von Haus zu Haus und wünschen ein gutes neues Jahr. Neben anderen ist auch das Rölliwiib in trachtenähnlicher Kleidung dabei, dessen Haube Szenen aus dem bäuerlichen Alltag, der Natur- und Tierwelt zeigt. EstrellitaFauquex (CH) gestaltete die Schöne ineindrucksvoller Grösse ganz aus Papier. Hoffen wir, dass die Figur Glück im neuen Jahr bringen wird– wir können es brauchen!

Ruth Moro (CH) schöpft Papiere aus Pflanzen und sucht in diesen auch eine zeichnerische Kraft. Auf dem runden Untergrund sind Bergahorn-Früchte rhythmisch wie Hieroglyphen angeordnet – eine reduzierte, sensible Arbeit: Der Kreis ist Symbol für Zeit und Natur.

Wie Leder wirken die robusten Schichtungen, sie bestehen aber aus handgeschöpftem Leinenpapier, das May-Lucy Süess (CH) in der Masse zwischen Blau und Rosa eingefärbt hat. Kontrastierend und in Faltungen angeordnet bilden sie eine Landschaft, durch die sich leise ein Weg schlängelt – er lädt uns zu einer imaginären Reise ein.

Christine Läubli (CH):
am ende
werden alle wege
zu einem -
zu meinem
ureigenen
lebensweg
Text und Fotos: Christine Läubli
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