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Mit Fäden zeichnen: Natasza Niedziółka


Der Faden als Linie – die polnische Künstlerin Natasza Niedziółka malt oder zeichnet mit dem Stickfaden zarte und zugleich kraftvolle Textilbilder. Über ihre Arbeit erschien kürzlich ein zauberhafter Katalog. Er enthält vier Werkgruppen, die in den letzten Jahren entstanden sind. Die Kunsthistorikerin und Kuratorin Vanessa Joan Müller beleuchtet Prozesse und Hintergründe der Arbeiten in verschiedenen Texten, wobei sie wohltuend weit weg davon ist, die polnische Künstlerin in eine weibliche Textilkunst-Schublade zu stecken. Das Buch ist der Kunst Natasza Niedziółkas entsprechend sehr schön und ruhig gestaltet.

Natasza Niedziółka geht es nach ihrer eigenen Aussage nicht ums Handwerk, sondern um Kunst. Die zeitaufwändige Sticktechnik ermöglicht es ihr, «die Arbeit aufzubauen und voranzutreiben». Die Zeit ist ein wichtiger Bestandteil des Werks.


Das textile Material gibt «die Chance des direkten Ausdrucks». Das Garn wird auf einen aufgespannten Grund gestickt, so dass die Arbeit auch an die Tradition der Tapisserie anknüpft. Manchmal arbeitet die Künstlerin auf Leinwand, sie freut sich aber auch, wenn sie bestimmte Baumwollstoffe, Leinen oder Vintage-Seide findet – jedes Material gibt der Arbeit eine individuelle Schattierung.


In der Werkgruppe “Colors” fungiert der Stickstich als zeichnerischer Strich. Natasza Niedziółka koloriert Baumwolle mit Farbstift und baut darauf stickend Architekturen aus gerade noch ausbalancierten Körpern. Diese etwas unheimliche Welt berührt zwischen Zerbrechlichkeit und Kraft.


Die Gruppe WTNTM (When The Night Turns Morning) beruht auf dicht aneinandergesetzten Seiden-«Strichen» auf Seidengrund. Durch das edle Material wirken die beim Sticken entstandenen Knötchen kostbar wie Perlen. Zwischen den Stichen schimmert transparent der Stoff, Flächen überlagern sich, der eine Zustand geht in den andern über.


In den “Love Notes” tauchen die rhythmischen Stiche wieder auf, nun dichter gesetzt, so dass der Untergrund weniger stark durchschimmert. Auf diesem gestickten Hintergrund finden wir geheimnisvolle Zeichen, die an uralte Schriften erinnern.

Die wichtige Werkgruppe “Zero” ist ganz aus rhythmischen Schraffuren aufgebaut. Nun aber sind die Formate grösser und der Grund fast oder ganz mit Strichen überstickt. Zwar sind es die Farben, die das Bild gestalten, doch unterscheidet sich dieses durch seine ins Dreidimensionale gehenden Haptik von Malerei. Die Künstlerin wählte den Titel “Zero”, weil dieses Projekt für sie einen neuen Anfang bedeutete. An der Kunstakademie Düsseldorf hatte sie Arbeiten von ihr unbekannten Künstlerinnen gesehen, die sie mit einem freien gestalterischen Umgang und einer klaren Wahrheit beeindruckten. Seither sucht Natasza Niedziółka den Weg zur einfachen, reduzierten Kunst noch intensiver.


Natasza Niedziółkas Werk erinnert mit der Reduktion auf das Wesentliche an jenes von Agnes Martin. Auch diese Künstlerin vermag es, mit ganz wenigen Linien meditative und sinnliche Welten zu erschaffen. https://www.moma.org/artists/3787 Wenn Natasza Niedziółka ihre Bilder nicht als Objekt, sondern als Ereignis sieht, das im Betrachter reaktiviert wird, knüpft sie an Anni Albers an. https://www.vogue.de/lifestyle/artikel/anni-albers Die Bauhaus-Webkünstlerin nannte den Faden ein Ereignis: «So wie man von jeder Stelle zu jeder andern gehen kann, so kann man auch ausgehend von einem bestimmten Spezialgebiet immer weiter reichende Beziehungen erkennen. Damit geraten angrenzende Gegenstände in den Blick. Die Gedanken aber können, so glaube ich, auf das Ereignis eines Fadens zurückgeführt werden.» Natasza Niedziółkas Bilder sind Ereignisse, die man stets von Neuem fasziniert durchlebt, und die lange im Betrachter nachklingen.


Buchinformationen: Vanessa Joan Müller: Natasza Niedziółka HG: Galerie nächst St. Stephan, Schwarzwälder, Wien Verlag für moderne Kunst, Wien www.vfmk.org

124 Seiten, 32,5 x 23,5 cm, 67 Illustrationen in Farbe Softcover Text Deutsch und Englisch € 29.09, CHF Fr.46.90 ISBN978-3-903572-81-2

Text: Christine Läubli unter Verwendung des Pressetextes Zitat Anni Albers aus «Textiles, Open Letters», Sternberg Press, Wien 2015 Bilder: Blick ins Buch, VFMK

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