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Handweberinnen waren oft eigenständige Unternehmerinnen!

Aktualisiert: 2. Mai 2023


Clara Woerner am Webstuhl im Rahmen einer Ausstellung im Kornhaus in Bern 1934

Vom 26. Mai bis zum 2. Juli 2023 werden im «Engel Haus» in Twann am Bielersee Gewebe aus dem Nachlass von Clara Geiger-Woerner gezeigt. Zusammen mit ihrem Mann Hans Geiger hatte sie bis 1990 in Ligerz die «Handweberei Geiger-Woerner» betrieben. Neben den Webstücken sind auch Werke von Ernst Geiger (Claras Schwiegervater) und Max Bill sowie Dokumente und Fotografien zu sehen. Der folgende Text von Annelise Zwez beleuchtet die Hintergründe der Ausstellung.

Tschabalala Self

Seit einigen Jahren ist es ein Merkmal der zeitgenössischen Kunst, dass sich verschiedenste Materialien und Techniken «rücksichtslos» vermischen. Textilpraktiken haben wesentlichen Anteil daran. Ein aktuelles Beispiel: Die Porträts der Afro-Amerikanerin Tschabalala Self (*1990 in Harlem) im Kunstmuseum St. Gallen (bis 18. Juni 2023)










In einer solchen Zeit ist es gewinnbringend, die Bedeutung des Textilen im 20. Jahrhundert neu zu betrachten. Nicht zuletzt, weil es zum Teil auch einer Aufarbeitung der Arbeit von Frauen gleichkommt. Das haben die Historikerin Heidi Lüdi und die Kunstkritikerin Annelise Zwez am Beispiel der Handweberei Geiger-Woerner in Ligerz am Bielersee gemacht. Sie zeigen das Resultat ihrer aufwändigen Recherchen vom 26. Mai bis zum 2. Juli im «Engel Haus» in Twann.

(Das «Engel Haus» ist ein markantes altes Rebgut aus dem 17. Jh., das 2017 nach langem Dornröschenschlaf als Mehrgenerationenhaus wiedereröffnet wurde und im Parterre eine «Kulturinsel» hat.)

Die einst als bedeutender KMU-Betrieb tätige Handweberei mit bis 12 Webstühlen vor Ort und Mitarbeiterinnen in Heimarbeit wurde 1930 gegründet und – wenn auch gegen Ende nicht mehr so aktiv – bis 1990 geführt.

Doppelseite aus einem Auftragsbüchlein aus den 1930er-Jahren.

Die Geschichte, die dahinter steckt, ist spannend. Sie beginnt damit, dass der vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts national bekannte Kunstmaler Ernst Geiger (*1876 in Brugg und † 1965 in Ligerz) nach dem Tod seiner Frau, der Altphilologin Maria Bockhoff, per Inserat eine Haushälterin und Hauslehrerin für sich und seine zwei Buben Hans und Wolfgang (*1908 und 1921) suchte. Ob es eine Art «Fluchtversuch» der 1902 in Tuttlingen (D) geborenen Clara Woerner war, nachdem sie unter dem Druck ihrer Mutter ihr Medizin-Studium aufgegeben hatte, um sich in Hauswirtschaft auszubilden, ist nicht belegt. Formuliert hat sie es nie explizit. Dies umso weniger, als sich die Stelle als Glücksfall erwies. Der selbst an textilen Mustern interessierte Maler vermittelte ihr eine Ausbildung als Handweberin im Tessin (wo er und seine Familie sich oft aufhielten) und kaufte ihr im Zürcher Oberland einen gebrauchten Lyoner Handwebstuhl. Clara Woerner packte die Chance.

Kissenstoff von Clara Geiger-Woerner (Ausschnitt)

Nicht unwesentlich sind drei Faktoren: Ligerz war in jener Zeit geradezu ein Mekka der Weberei. Der spätere Lehrer an der Kunstgewerbeschule Zürich, Heinrich Otto Hürlimann (1900-1965) hatte im nahen Schafis eine Weberei und wurde Lehrer seiner Cousine Elsi Giauque (1900-1998), nachdem diese 1923 auf die «Festi» ob Ligerz gezogen war. Zudem weilte der nachmalige Zürcher Konkrete Max Bill (1908 – 1994) oft bei Ernst Geiger, war dieser doch sein Onkel und damaliger Förderer. Die Vision des Bauhauses kam so quasi durch die Hintertür nach Ligerz.






Ölbild von Ernst Geiger (1876-1965) mit Weberei-Muster, vermutlich 1940er-Jahre

Kombiniert mit der Intelligenz und Entschlossenheit der jungen Clara Woerner waren die Weichen auf grün gestellt. Ab 1928 entstehen die ersten, verkäuflichen Webarbeiten, im «Oberdorf» kann sie ein zusätzliches Atelier mit weiteren Webstühlen einrichten, und 1930 gründet sie die «Handweberei Woerner». Ob ihr schon damals ihr einstiger Zögling und damaliger Ingenieur-Student Hans Geiger behilflich war, ist nicht bekannt. Fakt ist aber, dass die beiden 1934 heiraten, in das zwar renovationsbedürftige, aber geräumige «Haus zur Laube», das ihnen Ernst Geiger gekauft hatte, einziehen und fortan gemeinsam die «Handweberei Geiger-Woerner» betreiben.



Stoffmuster der Handweberei Geiger-Woerner o.D.

Die Aufgabenteilung ist klar: Clara Woerner ist für die Wahl der Materialien, für das Design zuständig. Ihre Auftragsbüchlein dokumentieren vieles. Er ist für alles Technische verantwortlich, sorgt dafür, dass die Webstühle funktionstüchtig sind, im Haus zur Laube wie bei den Heimarbeiterinnen. Aus Unterlagen, die im Nationalmuseum einsehbar sind, ist bekannt, dass für die Schals, Decken, Läufer, Kissen, Bettvorleger, Teppiche, Kleider-, Möbelstoffe, Wandbehänge, Flügeldecken… Baumwolle, handgesponnenes Leinen, Heergarn, gezwirntes Leinen, Margueriten-Wolle, Seide, Seidenwolle, „Laine Carmen“, Dochtwolle, Langhanfzwirn, Kammgarn und mehr verwendet wurden.


Früher Wandbehang von Clara Woerner aus den 1930er-Jahren

Clara Woerner ist eine hervorragende Netzwerkerin – noch bevor es diesen Begriff gibt. Bereits 1928 wird sie Mitglied des Schweizerischen Werkbundes und bald darauf der Gesellschaft Schweizerischer Malerinnen, Bildhauerinnen und Kunstgewerblerinnen (GSMBK). Sie lässt keine Gelegenheit aus, ihre Arbeiten auszustellen, ob im Kleinen oder im Bedeutenderen, z.B. der Saffa, der Schweizerischen Landesausstellung von 1936, der Weltausstellung in Paris 1937. In Ligerz spannen Clara Woerner und der Maler Ernst Geiger zusammen bei den legendären «Herbstausstellungen». Entsprechend ist der Fundus an Zeitungsartikeln und Reportagen in Magazinen unglaublich reich, wobei von den Kritikern fast immer die Orchestrierung der Farben hervorgehoben wird.

Reportage in der «Schweizer Familie», um 1938

Interessant ist, dass die Handweberei, um sich von der immer bedrohlicher werdenden Konkurrenz durch maschinelle Produkte abzuheben, früh das Thema Natur betont. «Das Atelier Geiger-Woerner», so steht es um 1940 in einer Reportage, «hat es sich zur Aufgabe gemacht, Wohnräume einheitlich mit Textilien auszustatten, die keinerlei Ersatzmaterial verwenden, nur mit echten Rohmaterialien wie Naturseide und Wolle, Leinengarn, bester Baumwolle Stoffe erzeugen, die weich und fliessend sind».










Blick in eine der legendären Herbstausstellungen im «Hof» in Ligerz, dem Wohnsitz von Ernst Geiger; mit Bild von Ernst Geiger und Webarbeiten von Clara Woerner.

Doch auch damit konnte die Krise der Handweberei nicht aufgehalten werden. Geiger-Woerner kontert sie mit der Eröffnung eines Ladens für Kunsthandwerk in Biel. Clara Geiger-Woerner selbst folgt dem Trend hin zur bildenden Kunst und realisiert endlich die seit den 1930er-Jahren als Skizzen entworfenen Wand-behänge.













Foto eines (leider verschollenen) Wandteppichs von Clara Geiger-Woerner aus dem Jahr 1975

Das grosse Problem bei einem Ausstellungsprojekt wie dem vorliegenden ist, dass Gewobenes für den Haus-gebrauch oft die Zeit nicht überdauerte oder bei Generationenwechsel entsorgt wurde, selbst Wandbehänge. Das ist nicht zuletzt ein Zeichen für die im Vergleich mit Malerei und Skulptur geringe Wertschätzung des Textilen in Kunst und Kunsthandwerk. Darum gilt es – auch im Kontext der aktuellen Gender-Diskussionen – den Blick zu schärfen und die Relationen neu zu denken! Die Ausstellung in Ligerz ist ein Dominostein hierzu.


Infos: Dauer der Ausstellung: 26. Mai bis 2. Juli Adresse: Engel Haus, Chlyne Twann 20, 2513 Twann

Vernissage: Freitag, 26. Mai, 18.15 Uhr Öffnungszeiten: Fr 17 bis 20 Uhr, Samstag/Sonntag 12 bis 17 Uhr.

Die Beschäftigungsgruppe des «Bill-Hauses» in Biel (Leitung: Barbara Schütz) installiert im Foyer einen Webstuhl und gibt am Samstag 3. und 17. Juni sowie am 1. Juli Einblick in die Praxis des Handwebens.

Achtung: Wegen Bauarbeiten der SBB in Twann die Anreise im Online-Fahrplan verifizieren! Text: Annelise Zwez Die Bilder wurden von Annelise Zwez zur Verfügung gestellt.

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