Vera Ziegler ist eine der Kunstschaffenden, die in der Ausstellung TEXIMUS 4 im März 2023 eine Arbeit zeigen wird. Zu ihrem Werk schreibt sie:
Hin und her flüged d Feldposchtumschläg, di kolorierte Poschtcharte, di grauschtichige, abgriffne Papier, hin und her di hochgradige Adresse, di sehnsüchtige Absender, d Poschtstämpel, hin und her di liebkosende Arede und fantasievolle Gruessparole, hin und her d Wörter romantisch, verzwiflet, hoffnigsvoll, tragisch, heroisch, poetisch… hin und her verflochte, verwobe, umgarnt, vo Läbensfäde durzoge… de Schatz us de Schueschachtle vo mim Grosi.
In der Kammer mit dem «verstimmten HARMONI(E)um» bewahrte mein Grosi all ihre geheimnisvollen Schätze auf. Wie eine grosse Entdeckerin fühlte ich mich jeweils, wenn ich – NUR unter Aufsicht – durch das schummrige, etwas gruslige Zimmer schnuppern durfte. Einmal fand ich eine alte Schuhschachtel, gefüllt mit vergilbten Briefumschlägen, Postkarten und Fötzelchen. Verschmitzt gestand mir Grosi, dass dies die Liebesbriefe seien, die sie und Grosspapi sich während der Kriegsjahre, als er ‘im Dienst’ war, geschrieben hätten. Ich konnte betteln soviel ich wollte, aber selber in den Briefen lesen durfte ich nicht. Immerhin liess sich Grosi dazu überreden, mir bei meinen Besuchen, nach ihrem Massstab zensuriert, aus einzelnen Briefen vorzulesen. Ich schmolz jeweils fast dahin bei all der Herzschmerz-Romantik und bettelte darum, als Erbin dieses übersprudelnden Harmonieschatzes bestimmt zu werden. Als ich dann wirklich stolze Besitzerin wurde, machte ich mich als Erstes daran, mit Hilfe der Feldpoststempel, der fein säuberlich oben rechts gesetzten Daten und anderen Indizien Ordnung in die filigranen Papierchen und teils goldverzierten, teils verhudelten Umschläge zu bringen. Dass ich das mir wertvolle Erbe irgendwann mal kreativ ehren wollte, wurde mir dabei schnell klar. Es mussten ein paar Jahre verstreichen, aber dann…
Durch jedes der Briefgewebe zieht sich ein typischer Themenfaden.
Die Taube, Brieftaube, Friedenstaube sucht sich ihren Weg durch Fragmente von Feldpostumschlägen, säuberlich beschriftetem Briefpapier, Kriegswortschatz und Herzschmerzschwüren.
Die lange Trennung macht sich bemerkbar, ‘tödelige‘ Stimmung, er von links und sie von rechts… Enttäuschungen, Vorwürfe, Verzweiflung, Resignation…
Von links die Empfängeradresse und Anreden… von rechts die Absenderadresse und Abschiedsworte… dazwischen fadenweise Punkt, Punkt, Punkt.
Tragisch, das Gedicht IM GRAUHOLZ (einem der Briefe beigelegt), durchstrahlt vom hoffnungsvollen Liebesschwur MEIN SONNENSCHEIN.
Eine kitschig romantische Postkarte durchwoben von verliebten Zeichen der beiden Sehnsüchtigen aber auch von löchernden Kriegsstempeln.
Text: Vera Ziegler Fotos: Urs Müller (Briefgewebe) Vera Ziegler (Schachtel)