Marianne Büttiker: Texturen
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Zurzeit stellt Marianne Büttiker in der Galerie Hilt in Basel Arbeiten aus dem Werkzyklus «Texturen» aus. Es sind kleine Kostbarkeiten, textile Momente voller Poesie. Sie verwebt Erinnerungen, bestickt Notizen, Zeichnungen, Bilder und verbindet Vergangenes mit der Gegenwart. Schichten legen sich auf Schichten, doch nicht immer ist sicher, was unten und was oben liegt, was zuerst kam und was danach. Alles durchdringt sich.

Ausgangspunkt ist die erste bildliche Erinnerung der Künstlerin an einen Kelimteppich in ihrem Kinderzimmer. Als kleines Mädchen lag sie stundenlang auf der warmen Fläche, erkundete die Farbfelder und sah dem wandernden Licht zu. Der Kelim war ihr eine heimatliche Landschaft, durch die sie die Autos und Spielsachen bewegte und zu der sie sich Geschichten ausdachte. Der flache Teppich erschien ihr räumlich.
In dieser kindlichen Welt nahm Marianne Büttikers Arbeit ihren Anfang, hier fanden sich zum ersten Mal jene Elemente, die sie bis heute begleiten: Akzente und Farbfelder, Spuren und Linien, das Zeichenhafte und die Poesie. Der Kelim inspirierte sie zu einer grossformatigen Webarbeit, die Erinnerung und Gegenwart verknüpft. Das Spielerische und die Lust am neugierigen Forschen hat sie sich bewahrt. Nun aber untermauert sie dies mit tiefphilosophischen Gedanken.

1984 schloss Marianne Büttiker die Textilfachklasse Basel ab. Danach arbeitete sie im Bereich Textildruck, wobei sie immer wieder das Feedback bekam, ihre Entwürfe seien eigentlich Bilder. Sie machte sich als Textildesignerin selbständig und konnte sich fortan auf kleine, bildhafte Auflagen beschränken. Ausserdem ist sie bis heute als Kunstvermittlerin tätig, und schon immer zeichnete und malte sie für sich.
Als die Künstlerin 2011 in Solothurn für eine Ausstellung in einem geschlossenen Nonnenkloster recherchierend Stickarbeiten fand, besann sie sich auf ihre textilen Anfänge und begann ebenfalls zu sticken. Als Grund nahm sie Papier aus ihrem Bestand und verband die Stickerei mit der Zeichnung.
Ihre Recherchen schreibt sie jeweils von Hand in Hefte. Für die Werkreihe «Texturen» schnitt sie solche Kladden auseinander, zeichnete, bemalte die einzelnen Blätter und bestickt die Vorder- und Rückseiten. Sie las zwischen den Zeilen und reagierte auf das, was da war. Stets sind die Arbeiten eine Auseinandersetzung mit dem Jetzt. Was war zuerst: das Bild, die Zeichnung, der Text oder das Textile?

Mit kleinen Webarbeiten führt Marianne Büttiker die Thematik fort. Eigentlich ist die Weberei das Gegenteil ihrer spontanen Arbeitsweise. Die Technik verlangt viel Planung und Vorarbeit, während das Interesse der Künstlerin im Moment liegt. Um den Augenblick der Entstehung zu betonen, bezog sie die Webrahmen in die Gestaltung ein. Lücken sollten die Gewebedichte auflösen, Manuskriptstücke dafür als temporäre Platzhalter dienen. Doch dann gefielen der Weberin diese Stellvertreter so gut, dass sie sie im Gewebe beliess. Später liess sie ganze Kettfadenfelder frei. Immer stärker rückte die Frage in den Fokus: Wie viel braucht das Bild – und wie wenig? Gestickte Elemente lösten das strenge Senkrecht / Waagrecht auf.

Als die Künstlerin die fertigen Arbeiten im Atelier an die Wand hing, fielen ihr die entstehenden Schattenbilder auf. Sie war fasziniert und platziert in der Ausstellung eine Reihe der Webereien als Objekte in den Raum hinaus. Zeichen, Farben, Zwischenräume, Schatten komponieren sich zum neuen Bild, das die Betrachterin verändern und mitgestalten kann, indem sie sich bewegt.
Alle Materialien, die Marianne Büttiker verwendet, stammen aus Nachlässen von Bekannten und Unbekannten. Sie holt die Fäden aus der Vergangenheit und bringt sie in die Gegenwart. Auch dies ist gleichzeitig Spurensuche und Momentaufnahme, ein durchlässiges Schichten von Gestern und Heute.

Die kleinen Webbilder gaben die Idee zu einer grossen Arbeit. Die Künstlerin liess sich überdimensionierte Rahmen bauen und bespannte diese mit Kettfäden. Intuitiv webte sie Farbflächen, Zeichen, Linien ein, scheinbar zusammenhangslos und surreal wie im Traum. Der Arbeitsprozess war eine Reise ohne Ziel, auf der sich die Weberin treiben liess, staunte und reagierte, wieder auflöste und neu dachte. Wieder ist es das Zeichnerische, das zusammen mit Farbflächen und Linien Akzente setzt. Die grossen Rahmen umschliessen nicht nur selber Bildräume, sondern auch einen gemeinsamen Bereich, den man betreten und aus dem Innern heraus betrachten kann. Der Paravent erinnert an Tapisserien, die alte Schlösser und Burgen wärmten und isolierten.

Textile Arbeit und Malerei liegen bei Marianne Büttiker nah beieinander. Dies zeigen drei gemalte Bilder, eigentliche Kartografien und Konzepte der Ausstellung. Mit Farbakzenten lotet sie darauf den Galerieraum aus, mit Farbflecken erprobt sie Wirkungen und Veränderungen. Auch eine Ausstellung ist in sich ein Bild.
Die Textilen Techniken geben Antworten auf Fragen und haben die Künstlerin viel über das Leben und das Menschsein gelehrt. Das langsame Fortschreiten der Arbeit ist eine Metapher für die Kunst der Langsamkeit, die Arbeit mit den Händen ein Symbol für die Schönheit des Sinnlichen. Dass immer auch die Rückseite der Stickerei oder Weberei reich und interessant ist, erinnert daran, dass auch der Mensch nur einen kleinen Teil seines Innenlebens offenbart. Vieles bleibt verborgen. Diesen Dingen, die zwischen den Zeilen liegen, kommt Marianne Büttiker auf poetische Art auf die Spur.
Text und Bilder: Christine Läubli
Infos:
Marianne Büttiker: Texturen
Galerie Hilt
St. Alban-Vorstadt 52
4052 Basel
Öffnungszeiten:
Mi-Fr 10-12 Uhr und 13-17 Uhr
Sa 12-16 Uhr
Führungen mit der Künstlerin: 22. Mai, 28. Mai, 7. Juni jeweils 14-16 Uhr, 13. Juni 17-18 Uhr
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