Drei Bücher über drei Kunstschaffende haben mich in letzter Zeit berührt. Alle drei gaben mir Inspiration für meine eigene Arbeit – auch wenn sie nicht unmittelbar etwas mit Textilkunst zu tun haben.
Der norwegische Schriftsteller Karl Ove Knausgård legt jedes Schnippelchen Leben, das er findet, unter das Mikroskop, wendet es hin und her, um es genauestens zu untersuchen und zu erforschen. Der Künstler Anselm Kiefer hingegen macht überwältigende Werke – das Adjektiv «riesig» umschreibt sie nur unzureichend. Was geschieht, wenn sich die beiden begegnen?
Nachdem Knausgård das Werk Anselm Kiefers in einer Ausstellung erstmals kennen gelernt hatte, schrieb er dem Künstler. Ein halbes Jahr später durfte er dessen Atelier bei Paris besuchen, ihn interviewen und bei der Entstehung von Arbeiten dabei sein. In diesem Buch erzählt er auf sehr persönliche Weise von seinen verschiedenen Treffen mit einem der wichtigsten Künstler der Gegenwart. Dabei ist ein faszinierendes Porträt entstanden, manchmal intim bis zur Schmerzgrenze, nachdenklich und tief philosophisch. Karl Ove Knausgård geht den Fragen nach: Was ist Kunst? Was bewirkt sie in uns? Was macht das Werk Anselm Kiefers aus? Wie können seine menschenleeren Bilder so viel über Menschen erzählen? Tolle Fotos und Bilder des Künstlers ergänzen die Gedanken und machen das Buch zu einem Kunstwerk an sich.
Ursel Bäumer hat sich von Louise Bourgeois’ Lebensweg inspirieren lassen und beschreibt ein paar wenige Jahre im Leben eines Mädchens, das es zu Hause – trotz wohlhabender Eltern – nicht leicht hat und sich seinen Weg erkämpfen muss. Der Roman ist fiktiv, lehnt sich aber eng an die Fakten an und erlaubt einen Einblick in jene Kindheitserinnerungen, welche die berühmte Künstlerin später immer wieder in ihrem Werk verarbeitet hat. Die Geschichte beginnt in der Nähe von Paris, wo die Familie ein grosses Haus bezogen hat. Die halbwüchsige Louise pflegt ihre schwer kranke Mutter und erinnert sich in Rückblicken an ihre frühe Kindheit. Die Bindung zur Mutter war stets liebevoll und eng. Der Vater sammelte alte Wandteppiche, welche die Mutter mit ihren Mitarbeiterinnen restaurierte. Dafür zeichnete Louise immer wieder Details und Vorlagen. Trotzdem war die Situation schwierig, lebte doch der egozentrische Vater im Haus der Familie eine kaum verborgene Liebesbeziehung mit dem Kindermädchen. Auch war er zur Tochter autoritär und verletzend. Hartnäckig ertrotzte sich die sensible und hochbegabte Louise ihren Raum, absolvierte ein Kunststudium und heiratete. Nach der Heirat mit einem amerikanischen Kunsthistoriker übersiedelt Louise nach New York.Das Buch ist in einer schönen, poetischen Sprache geschrieben. Obwohl ihm einige Straffungen gut getan hätten, lohnt sich der einfühlsame Blick auf die frühen Jahre Louise Bourgeois’.
Nachdem Fabienne Verdier in Südfrankreich Malerei studiert hatte, ging sie 1983 nach China, um ihr Studium dort fortzusetzen. Ohne Sprachkenntnisse flog sie um die halbe Welt. Die politische Situation in China machte ihr das Studium nicht leicht. Als Ausländerin wurde sie überwacht und besonders behandelt, vieles war ihr verboten. Trotzdem erreichte die Kunststudentin, dass sie bei bestimmten Lehrern lernen und sogar reisen durfte. Einer der letzten grossen Meister, der die Kulturrevolution überlebt hatte, weihte sie in die Kalligraphie ein. Am Ende blieb Fabienne Verdier zehn Jahre in China. Ihre fesselnden Erinnerungen geben einen Einblick in die fernöstliche Kunstauffassung und Philosophie. Sie machen aber auch die grosse Kluft deutlich, die in China zwischen der engen, unmenschlichen Überwachung und Gängelung der Politik und der grossherzigen, tief menschlichen Denkweise in Kunst und Kultur bestand und besteht. Heute lebt und arbeitet Fabienne Verdier in der Nähe von Paris. Ihre grossformatigen, kalligraphischen Bilder eröffnen eine stille Welt.
Text und Bilder: Christine Läubli
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